Keine Krise der vergangenen Jahrzehnte ist so tiefgreifend wie die aktuelle Corona-Krise. Das öffentliche Leben ist in weiten Teilen Europas zum Erliegen gekommen und die ergriffenen Schutzmaßnahmen beeinflussen unser Wirtschaftsleben enorm: Aktienmärkte brechen ein, Arbeitsstrukturen haben sich innerhalb weniger Tage verändert, Lieferketten sind unterbrochen und Nachfragen sind – abhängig von Branche, Kanal und verordneten Maßnahmen – in kürzester Zeit bis zum Nullpunkt kollabiert.
Vor allem im Nonfood-Bereich mussten viele Einzelhändler ihre stationären Filialen und Geschäfte vorübergehend schließen. Erste Händler, wie Esprit oder Galeria Karstadt Kaufhof, flüchten in Insolvenzen im Schutzschirmverfahren und für eine Reihe kleiner und mittelständischer Handelsbetriebe wird auch nach kurzer Zeit des Stillstands eine Fortsetzungsprognose nicht positiv ausfallen. Fehlende Tageseinnahmen führen innerhalb kürzester Zeit zu Liquiditätsengpässen und Saisonware wird zum Bestands-Ballast für die Zukunft. Dagegen erleben Grundversorger und der LEH einen bisher nicht erlebten Run auf ihre Märkte.
Unstrittig ist: die Welt und nicht zuletzt der Einzelhandel befinden sich im Krisenmodus. Und Krisen führen zu existenziellen Unsicherheiten – sowohl individuell als auch kollektiv (Dettling, 2020). Durch die Digitalisierung wird der Einzelhandel ohnehin seit Jahren durch einen tiefgreifenden Strukturwandel getrieben und nun tritt zusätzlich der Virus das Bremspedal. Die Verunsicherung ist groß: für viele stellt sich die Frage, ob und wie es weitergeht.
Die vergangenen Tage haben einige sehr lesenswerte Beiträge hervorgebracht, welche die nachhaltigen Auswirkungen der Corona-Krise auf Gesellschaft und Gesamtwirtschaft aufzeigen. So unter anderem Mathias Horx in seiner „Regnose“ oder Sven Gabor Jansky mit der Modellierung von fünf Zukunftsszenarien für Deutschlands.
Dabei werden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen davon abhängen, wie sich die Corona-Krise entwickelt, wie lange rigide Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden und wie zeitlich, aber auch qualitativ, der Ausstieg aus dem Shut-down des öffentlichen Lebens gelingt. Beim Abgleich der existierenden Szenarien gehen wir davon aus, dass spätestens im Herbst 2020 ein (vordergründig) weitgehender Normalzustand erreicht ist, sich gleichwohl alle Systeme in Gesellschaft und Wirtschaft in einem weiterhin äußerst labilen Zustand befinden.
Vom Krisenmodus in den Zukunftsmodus
Auf Basis dieser Grundüberlegungen haben wir uns mit der aktuellen Situation auseinandergesetzt und erste Gedanken dazu gemacht, welche Auswirkungen Corona nachhaltig auf den Handel haben kann und welche Maßnahmen durch die Unternehmen in den nächsten Wochen angegangen werden sollten. Dabei unterscheiden wir die folgenden drei Phasen:
Die rasante Entwicklung der Ereignisse lässt unterstellen, dass sich die meisten Unternehmen bereits am Ende der Akutphase befinden. Hier steht ausschließlich die kurzfristige Liquiditätssicherung im Fokus. Dabei können die erleichterte Beantragung von Kurzarbeit, KfW-Krediten sowie nicht rückzahlbarer Zuschüsse des Bundes und der Länder helfen. Das Augenmerk sollte zudem darauf gerichtet werden, dass sowohl Kredite als auch Steuerstundungen zurückgeführt werden müssen, damit eine aufschiebende Wirkung haben und die Zukunft des Unternehmens belasten. Kurzfristig wird entscheidend sein, ob Fördermittel – trotz aller Versprechungen und Zusagen – tatsächlich und darüber hinaus auch in den erforderlichen Fristen gewährt werden. Dabei ist es unabdingbar eine sehr eng getaktete Liquiditätsrechnung (idealerweise auf Tagesbasis) aufzusetzen, welche unterschiedliche Szenarien in der Zukunft berücksichtigt.
Darüber hinaus bieten sich fallweise gegebenenfalls weitere kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung des Unternehmens an: so zum Beispiel die Zuordnung von Personal in nicht von der Krise betroffene Vertriebskanäle (z.B. Online-Shop, Marktplätze) oder zur Stärkung einzelner Funktionen (z.B. Social-Media, Telefonverkauf, Zustell- und Bringdienste).
Auch in der nächsten Phase, dem Krisenmodus, steht die Liquiditätssituation im Vordergrund und es gilt durch striktes Kostenmanagement den Fortbestand des Handelsbetriebs sicherzustellen. Gleichzeitig ist jedoch auch nun die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten. Um effizient den Überblick zu bewahren, bietet sich ein System zur Risiko- und Chancenbewertung an.
Einerseits gilt es, schnell und wiederkehrend die bevorstehenden Risiken zu identifizieren: drohende Lieferantenausfälle, unterbrochene Lieferketten, die mögliche Instabilität von Prozessen oder IT -Systemen aber auch Bestandsrisiken und Zahlungsverpflichtungen gegenüber Lieferanten. Auch bei einem eingeschränkt fortsetzbaren Geschäftsbetrieb bieten sich als Sofortmaßnahme Vereinbarungen über Zahlungszielverlängerungen oder Valutierungen mit den Lieferanten an.
Andererseits sollten die Chancen eines Shutdowns sofort genutzt werden: diese können in kreativen Marketingkampagnen oder Vertriebsaktivitäten liegen. Neben telefonischer Kundenbetreuung, dem Verkauf von Gutscheinen für zukünftige Einkäufe oder der Heimzustellung von Waren, die sich allesamt sehr zeitnah implementieren lassen, können geeignete Instrumente auch im Fokussieren bestehender Social-Media Aktivitäten liegen.
Im Krisenmodus ist ein zentraler Aspekt, den Kund(innen) und auch Mitarbeiter(innen) die getroffenen Maßnahmen transparent zu machen und zu kommunizieren. Eine mangelhafte Kommunikation oder unzureichende Erklärung kann dabei zu einer langfristigen Schädigung der Marke führen, wie die aktuellen Fälle der ausgesetzten Mieten bei Adidas, H&M und Deichmann zeigen.
In besonderem Maße gilt es bereits in der aktuellen Phase die Lernfähigkeit des Unternehmens zu schärfen, um die in den kommenden Wochen gewonnenen Erfahrungen für gezielte mittelfristige Maßnahmen zu nutzen. Dabei wird sich der Übergang vom Krisenmodus in den Zukunftsmodus sehr fließend gestalten. Nach unseren aktuellen Einschätzungen beschäftigen sich bereits die ersten Einzelhändler mit diesem Zukunftsmodus und stellen eine Frage zentral in den Vordergrund: wie lässt sich die Widerstandsfähigkeit des Handelsunternehmens – die sogenannte Resilienz – steigern?
Die dabei zu diskutierenden Themen und Antworten setzen in aller Regel direkt am Geschäftsmodell des Unternehmens an.
Corona und das Schichtenmodell der Brückenbauer
Anhand des Schichtenmodells der Brückenbauer sollen im Folgenden die wesentlichen Implikation der Corona-Krise diskutiert werden. Das Modell betrachtet die Einflussfaktoren Kunden, Branche und Wettbewerb als externe Auslöser für Veränderungen. Diese sind innerhalb der Handelsunternehmung in den folgenden Schichten zu modellieren: beginnend bei Geschäftsmodell und Strategie, über die Organisation, Aktivitäten und Instrumenten, Technologie bis hin zur Führung und dem Bereich Personal.
Das Konsumentenverhalten wird nachhaltig beeinflusst
Das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrats der Wirtschaft geht davon aus, dass die Wirtschaft zwischen 3 bis 5 % schrumpfen wird, wenn die Shutdown-Maßnahmen spätestens im Sommer aufgehoben werden können. Für das Jahr 2021 wird dann von einer schnellen Erholung ausgegangen. (Riedel, 31.03.2020). Alternative Modelle diskutieren auch wesentlich weitreichendere Verläufe der zukünftigen volkswirtschaftlichen Entwicklung in V-, U- oder L-Form.
Es ist davon auszugehen, dass viele Konsumenten aufgrund der nahenden Rezession um ihren Arbeitsplatz fürchten. Daher sind die Verbraucher derzeit stark verunsichert und werden in den nächsten Wochen und Monaten eher zurückhaltend in ihren Konsumausgaben sein. Nicht dringend benötigte Einkäufe (Fashion & Lifestyle) sowie größere Investitionen (Möbel) werden zurückgestellt werden. Der aktuelle Ausgabenfokus liegt tendenziell auf Lebensmitteln und Bedarfskäufen. Insofern lässt sich davon ausgehen, dass auch nach Beendigung der Shutdown-Maßnahmen die Umsätze in einigen Branchen nur langsam anlaufen werden.
Wie stark und wie nachhaltig sich das Konsumentenverhalten verändern wird, lässt sich erst zukünftig und mit längerem Abstand zur aktuellen Situation beurteilen. Bereits heute sollte jedoch sicher sein, dass das epidemische Ausmaß der Corona-Krise und die Dauer der Shutdown-Maßnahmen darauf einen starken Einfluss haben werden.
Die langfristigen Konsumententrends Ökologie, Nachhaltigkeit, Gesundheit und Regionalität werden vermutlich durch die Krise weiter gestärkt. Andere Mega-Trends könnten dagegen auf den Prüfstand der Gesellschaft gestellt werden und in ihrer zukünftigen Entwicklung tendenziell abflachen. So ist dies vor dem Hintergrund anfälliger Lieferketten und möglicherweise dauerhafter Reisebeschränkungen für die Themenbereiche Globalisierung und Mobilität denkbar.
Ein tiefgreifendes Kundenverständnis und das sensible Registrieren und Reagieren auf die sich verändernde Bedürfnisse der Konsumenten werden daher die unabdingbaren Schlüssel für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung in der Zukunft bleiben.
Solche Handelsunternehmen, die bereits heute systematisch auf Daten setzen, um sie für eine konsequente Kundenzentrierung einzusetzen, werden dabei im Vorteil sein. Sollten weder Daten über Informations- und Kommunikationswege sowie die Entscheidungspunkte der eigenen Kunden im Kaufprozess (Online und Offline) vorliegen, noch IT-Technologie für deren Analyse bereitstehen, so gilt es hier zu investieren.
Radikal veränderter Wettbewerb in einzelnen Branchen
Innerhalb einiger Brachen werden sich die Wettbewerbsstrukturen radikal verändern, da nicht alle Handelsunternehmen die nächsten Monate schadlos überstehen können. Vor allem Unternehmen ohne ausreichende Rücklagen, werden entweder komplett vom Markt verschwinden oder in den nächsten Wochen und Monaten tiefgreifende Sanierungen durchführen müssen. Aufgrund des Shutdown lassen sich die ausbleibenden und überlebensnotwendigen Tageseinnahmen nicht kompensieren und führen zu einer sofortigen und täglich wachsenden Liquiditätslücke.
Aktuell sind insbesondere die Fashion-Branche (Textil und Schuhe), Elektronik- und Möbelmärkte sowie sämtliche weitere Nonfood-Formate, bis hin zu diskontierenden Massenfilialisten, wie tedi, kik oder Kodi davon betroffen. Die Systemrelevanz der vom Shutdown nicht oder nur eingeschränkt betroffener Branchen und die damit möglicherweise einhergehenden Wettbewerbsverzerrung sollen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.
Die sich bereits in kürzester Zeit in Schieflage geratenen Beispiele Esprit, Galeria Karstadt-Kaufhof aber auch Vapiano oder Maredo aus dem Gastronomiebereich, aber auch die Ankündigungen von Tom Tailor oder SinnLeffers, schnellstmöglich auf Staatshilfen angewiesen zu sein, stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Gerade KMUs des Einzelhandels sind in mindestens ebenso prekären Situationen, erhalten jedoch nicht die Medienpräsenz der vorgenannten Beispiele. Und selbst vom Shutdown nicht betroffenen Formate in Innenstadtlagen sind aufgrund fehlender Frequenzen in den klassischen Lauflagen von der Situation betroffen.
Festzuhalten ist, dass ein tiefgreifender Einfluss der Branchenzugehörigkeit und der damit jeweils verbundenen Maßnahmen im Shutdown auf das Fortbestehen der Unternehmen existiert. Unabhängig davon befinden sich jedoch verstärkt solche Geschäftsmodelle des Handels in Schieflage, die sich bereits vor der Krise durch eine hohe Labilität und geringe Relevanz für die Kunden ausgezeichnet haben. Betroffen sind ebenfalls Unternehmen, die sich gerade am Anfang ihrer strategischen „Suchfeldanalyse“ befinden oder durch noch andauernde Transformationsprozesse instabil sind.
Bereits im Februar 2020 – damit noch vor den absehbaren Shutdown Maßnahmen – wurde durch das Institut für Handelsforschung (IFH, Köln) prognostiziert, dass bis zum Jahr 2030 in Deutschland bis zu 64.000 Handelsbetriebe schließen werden (Hofer, 2020). Diese Prognosen werden vor dem aktuellen Hintergrund drastisch zu korrigieren sein, insbesondere wenn finanzielle Hilfen den Einzelhandel nicht schnell genug und in der erforderlichen Höhe erreichen. Die Auswirkungen auf die Attraktivität der Innenstädte wird drastisch sein, empfinden doch bereits heute viele Kunden(innen) das Angebot vieler Innstädte als unattraktiv und sehen wenige Anreize, diese zu besuchen.
Möglicherweise dokumentiert die derzeitige Lage im Shutdown bereits heute, wie sich Innenstädte in mehreren Jahren dem Endverbraucher darstellen, insbesondere wenn sich der Online-Handel nach der Krise auf einem signifikant höheren Niveau befinden sollte und dem stationären Handel keine nachhaltigen Änderungen in seinen Geschäftsmodellen gelingt.
Intelligente Verzahnung von Online und Offline wird zum Erfolgsfaktor
Angesichts von Ladenschließungen und Kontaktverboten haben sich viele Konsumenten in den vergangenen Tagen verstärkt den einschlägigen Online-Kanälen – seien es Onlineshops, Marktplätze oder auch Plattformen – zugewandt. Dies erfolgte ebenso von Endverbrauchern, die bisher eine überwiegend stationäre Affinität hatten. Je länger der Shutdown andauert, desto mehr werden sich auch diese „Kanal-Neukunden“ an alternative Einkaufsmöglichkeiten gewöhnen und ihr Verhalten nachhaltig verändern.
Insofern ist zu vermuten, dass Kund(innen) in der Zukunft tendenziell den Teil ihrer Einkäufe im stationären Handel erledigen, welcher der täglichen Nahversorgung dient. Gleichwohl könnte auch der LEH (inklusive Getränke und Nearfood-Produkte), die Drogeriewaren- und Haushaltsbranche nach der Krise eine erhöhte Online-Affinität aufweisen, wenn die Konsumenten während des Shutdowns positive Erfahrungen und Erlebnisse mit ihren Online-Einkäufen verbinden und den Online-Kaufakt „gelernt“ haben.
Anstatt immer noch zu stark in Flächen zu denken wird es für die unterschiedlichen Geschäftsmodelle im Einzelhandel unabdingbar sein, zukünftig alternative Kanäle des Verkaufs zu berücksichtigen und aufzubauen. Dies nicht nur, um dem über die Zeitachse kontinuierlich steigendem Trend zum Online-Shopping zu folgen und dem nach der Krise vermutlich nochmal sprunghaft wachsenden Attraktivität dieser Formate Rechnung zu tragen. Vielmehr wird sich eine solche Berücksichtigung im Geschäftsmodell positiv auf die Resilienz des Handelsunternehmens in Krisensituationen auswirken.
Wesentlich stärker als in den Modellen der Vergangenheit wird für viele etablierte Handelsunternehmen nun die schnelle und intelligente Verzahnung von Online- und Offline-Aktivitäten im Vordergrund stehen. Dabei ist aus analoger und digitaler Perspektive der Kunde und die Beziehung zum Kunden zu fokussieren: sei es durch Omnichannel-Konzepte, Kundenbindungssysteme oder dem zielgerichteten Aufbau von Social-Media Strategien. Nur eine nahtlose Integration des Kunden in das Geschäftsmodell wird auch ein kanalübergreifendes Beziehungsmanagement fördern.
Dies ermöglicht in Krisensituationen einen schnellen Kanalwechsel für die Ansprache der Kunden. Und selbst der digitalisierte Onlinehandel sollte laufend Überlegungen zu seinem Geschäftsmodell anstellen, ist doch auch ein entgegengesetztes Szenario zum aktuelle Shutdown des stationären Einzelhandels denkbar: der Zusammenbruch von IT-Infrastrukturen und Netzwerken durch flächendeckende technologische Unwägbarkeiten oder Cyber-Angriffe.
Der 360-Grad Blick in die Organisation
Viele Unternehmen funktionieren auch heute noch immer nach streng hierarchischen Prinzipien und alten Controlling-Mustern. Diese klassischen Organisationsstrukturen haben noch immer ihre Berechtigung, wenn das Umfeld stabil ist und Anforderungen, Ressourcen sowie Zeiten bekannt und ausreichend definiert sind.
In Zeiten hoher Volatilität und Komplexität gelangen diese traditionellen Strukturen hingegen äußerst schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Schnelles und flexibles Handeln über die unterschiedlichen Funktionsbereiche und „Unternehmens-Silos“ hinweg ist erforderlich. Entscheidungen schnell und unter hoher Unsicherheit zu treffen, bedeutet gleichzeitig, diese Entscheidungen in ihrer Wirksamkeit permanent zu prüfen und gegebenenfalls schnell gegenzusteuern. Dazu ist es erforderlich, die „kollektive Intelligenz“ der Organisation zu aktivieren und in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Führungskräfte haben dabei in der aktuellen Krise den 360-Grad Blick aller Mitarbeiter und Netzwerk-Partner zu schärfen und gleichzeitig ihre Aufgaben radikal auf Koordination und Interaktion mit allen Beteiligten zu fokussieren. Gerade die gestiegene Akzeptanz von Home-Office, Tele- und Videokonferenzen in den letzten Wochen macht deutlich, wie schnell sich etablierten Strukturen und Prozesse in der Krise ändern können.
Nicht nur die Aufgaben von Führungskräften verändern sich in Krisenzeiten, es sind vor allem Führungskräfte gefragt, die im engen Austausch mit den Mitarbeitern stehen und offen über die aktuellen Entwicklungen informieren. Dabei gilt es, den verunsicherten Mitarbeiter(innen) Ängste zu nehmen und Halt zu geben, denn nur dann können Sie als Mitstreiter für das Bewältigen der Krise gewonnen werden.
Viele werden aus der Krise mit einem anderen Blick auf ihre eigene Organisation gehen. Solche Handelsbetriebe werden im Vorteil sein, wenn sie den positiven Lernprozess, den ihre Organisation in der Krise durchlaufen hat, in die Zukunft tragen. Nicht das Zurückdrehen zum alten Status, sondern die Weiterentwicklung der innerhalb kurzer Zeit hinzugewonnen Kompetenzen wird für viele eine einmalige Chance sein. Dies kann dabei helfen, die während der Krise „liegengebliebenen“ Herausforderungen von Kundenzentrierung bis zu Digitalisierung aus einer veränderten Perspektive zu sehen und anders zu lösen als vor der Krise.
Maßnahmen für Einkauf, Beschaffung und Vertrieb
Die Beziehung zwischen Händlern und Lieferanten wird aktuell einer besonderen Belastungsprobe unterzogen. Kurzfristig wird es auch darum gehen in einem möglichst partnerschaftlichen Verhältnis Themen wie Lieferstopps bzw. später Auslieferungen, Auftragsstornierungen, Verlängerung von Valuten und Sonderkonditionen miteinander zu besprechen und im Dialog gemeinsame Lösung hervorzubringen.
Hier wird sich in der Krise auch schnell zeigen, auf welche Partnerschaften man sich nachhaltig und langfristig verlassen kann. Zudem sollten die existierenden Lieferketten einer kritischen Überprüfung unterzogen werden, um die nun zu Tage getretenen Risiken in der Zukunft zu reduzieren. Der Blick wird dabei nicht nur auf die „Klumpenrisiken“ asiatischer Beschaffung im Nonfood-Bereich fallen sondern auch auf die Anfälligkeit saisonaler Sortimente und Kollektionen, wie z.B. im Fashionbereich.
Die aus den bisherigen Diskussionen erlangten Erkenntnisse werden nach unserer Einschätzung ein teilweise grundsätzliches Umdenken in der Sortimentspolitik sowie der Beschaffungspolitik einzelner Branchen des Einzelhandels nach sich ziehen.
Lenkt man den Blick auf die vertriebliche Seite des Einzelhandels, so ist festzustellen, dass langjährig etablierte analoge Instrumente nicht mehr funktionieren. Gerade Händler, die bisher über keinen Online-Shop verfügen oder auf einer Plattform präsent sind, sind mit ihrem bisherigen stationären Geschäftsmodell von Umsätzen ausgeschlossen müssen nach neuen Möglichkeiten suchen.
Einzelhändler, die sich in der Vergangenheit eine Social-Media Community – bevorzugt über Instagram, WhatsApp oder Facebook – aufgebaut haben, können ihre Follower und Kunden direkt ansprechen und ihre Produkte sowie Dienstleistungen online anbieten. Damit lassen sich aktuelle Angebote auf digitalem Wege sichtbar machen, elektronische Bestellungen generieren, Bezahlvorgänge und ein Versand auslösen.
Auch die Anbindung an bestehende Plattformen wie Otto, real oder – sowohl im Vendoren- als auch Marktplatzbereich derzeit eingeschränkt – an Amazon sind von Vorteil. Viele von Ihnen haben spezielle Angebote und Unterstützungen entwickelt. So kam die aktuelle Ankündigung von Zalando, das stationäre Händler, die mit einer Ladenschließung keinen Absatzkanal mehr haben, zu Sonderkonditionen Partner des Connected-Retail Programms werden können. Über dieses Programm können stationäre Einzelhändler über die Zalando-Plattform in ihre Läden Online-Bestellungen zur Auslieferung erhalten und damit zumindest geringe Umsätze generieren.
So ergeben sich also auch in der aktuellen Krise Ansatzpunkte und Chancen, die nach Aufhebung der Shutdown-Maßnahmen möglicherweise in ein modifiziertes Geschäftsmodell überführt werden können.
Technologie entscheidet über die Zukunft
Für die Technologisierung und Digitalisierung im Einzelhandel wird nach unserer Auffassung die Corona-Krise ein wesentlicher Verstärker sein. Nicht nur die Auseinandersetzung mit diesem Thema sondern auch die Akzeptanz und Umsetzungsgeschwindigkeit wird im Handel ein schlagartig höheres Niveau einnehmen.
Handelsunternehmen ohne Online-Präsenz oder Social-Media Community, ohne Online-Shop oder Plattform-Anbindung sind in der Krise von Umsätzen und Kund(innen) komplett abgeschnitten. Wie der Königsweg für den Einzelhandel auszusehen hat, ist in jedem Handelsunternehmen individuell auszugestalten. Und trotz aller bisheriger Erkenntnissen aus der aktuellen Krise vertreten wir nach wie vor die Auffassung, dass der Segen für den Handel nicht in der Flucht in einen Online-Shop sondern in der proaktiven Gestaltung von Kundenbeziehungen und Kundenbindung liegen muss.
Die Notwendigkeit in zeitgemäße IT-Infrastrukturen und Kundenbindungssysteme zu investieren, die Notwendigkeit Prozesse und Abläufe zu digitalisieren, all dies wird sicherlich bei vielen Unternehmen spätestens jetzt erkannt. Daten zu erheben und diese Daten für eine konsequente Kundenzentrierung – auch unter Einbeziehung von Big Data und künstlicher Intelligenz – zu nutzen, wird für den Einzelhandel Mehrwerte schaffen. Diese zielgerichtet entlang der Customer Journey einzusetzen, kann die Chance für eine höhere Akzeptanz des Einzelhandels nach der Krise darstellen.
Quellenverzeichnis
Dettling, D. (20.03.2020). Die neue Epoche der Glokalisierung. Handelsblatt, S. 72
Frings, J. (25.03.2020). Corona Consumer Check Vol. 1: Von Hamstern, Onlinekäufen und Freiheitsverlust. Von IFH: https://www.ifhkoeln.de/nc/blog/details/corona-consumer-check-vol-1-von-hamstern-onlinekaeufen-und-freiheitsverlust/ abgerufen
Hofer, J. (20. 03 2020). Einzelhandel: Warum sich das Ende vieler Läden beschleunigt. Handelsblatt, S. 24
Horx, M. (03 2020). Die Welt nach Corona. Von horx.com: https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/ abgerufen
IFH Köln. (2019). Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030: Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen im digitalen Zeitalter. Düsseldorf: Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.
Janszky, S. G. (März 2020). Ostern entscheidet es sich: 5 Corona-Szenraien für Deutschlands Zukunft. Von 2b Ahead: https://www.zukunft.business/ abgerufen
Zukunftsinstitut. (2020). Whitepaper: Der Corona-Effekt – 4 Zukunftszenarien. Frankfurt am Main.