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Time-to-Change. Systematisches Change-Management im Handel

Change-Management

Aktualisiert und ergänzt – Bereits im Januar 2020 hatten wir einen Artikel zur Notwendigkeit eines systematischen Change-Managements im Handel online gestellt der vor dem Hintergrund der aktuellen Krise nichts an Aktualität von verloren hat. Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit bleiben wesentliche Erfolgsfaktoren für den nachhaltigen Erfolg.

Im Oktober 2019 titelte das Handelsmagazin etailment: „Lass den Einzelhandel sterben… zu viel Fläche, zu viele Center und zu viel Langeweile“. (Gerth, 2019)
Richtig ist, dass der Einzelhandel mit rund 500 Mrd. Euro Umsatz und 3 Millionen Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland ist. Richtig ist, dass sich der Einzelhandel in einem radikalen Umbruch befindet. Und richtig ist, dass traditionelle Konzepte und Methoden schon seit geraumer Zeit nicht mehr greifen.

Allerdings gibt es für veränderungsbereite Unternehmen neben den Herausforderungen auch eine Vielzahl neuer Chancen und Möglichkeiten, die proaktiv angegangen werden können.

Verändertes Kundenverhalten und neue Geschäftsmodelle

Digitalisierung verändert das Konsumentenverhalten und Märkte. Viele Handelsunternehmen müssen erleben, wie neue Technologien und Wettbewerber die Spielregeln ihrer Branche umschreiben und alte Erfolgsfaktoren nicht mehr gelten.

Insbesondere boomen der Online-Handel (z.B. Zalando, About You) und das Plattform-Business (z.B. Amazon, Otto). Kaum ein Konzept, welches heute nicht auf seine Plattform-Tauglichkeit hin überprüft wird. Und die Einkaufsstraßen leiden darunter, vor allem in kleinen und mittleren Städten. Auch ehemals sehr erfolgreiche Marken und stationäre Händler, wie z.B. Tom Tailor oder Gerry Weber, kämpfen mit rückläufigen Kundenfrequenzen und sinkenden Flächenproduktivitäten. Insofern droht vielen von ihnen die Schließung mit den entsprechenden negativen Auswirkungen wiederum auf die Innenstädte.

Aber auch, die in den letzten Jahren stark wachsenden Online-Anbieter stoßen an erste Wachstumsgrenzen. Eine ganze Reihe von Konzepten befindet sich bereits in der ersten oder zweiten Konsolidierungsphase und viele ehemals hochgelobte Konzepte haben sich schon wieder vom Markt verabschiedet. Die Ursachen dafür sind ähnlich gelagert, wie im stationären Handel: Sinkender Traffic und steigende Kosten für die Akquisition und Konversion von Kunden, rückläufige Kundenbindung und damit verbunden erhebliche Effizienzeinbußen durch fehlende Skalierbarkeit.

Aber beschreibt diese Situation nicht nur Symptome im stationären wie auch im Online-Handel?

Kundenzentrierung im Fokus

Nachhaltige Gewinner werden diejenigen Unternehmen sein, denen es gelingt, auf Basis eines tiefgreifenden Kundenverständnisses alle ihre Aktivitäten am Kunden und an dessen Customer Journey auszurichten und laufend nachzujustieren. Dies unabhängig, ob ein Einzelhändler als (Online-)Pure-Player, ausschließlich stationär oder mit einem hybriden Modell antritt.

Die alleinigen Gewinner sind nicht zwangsläufig Online-Händler oder die Plattformen. Durch die optimierte Kundenansprache, eine intelligente Verzahnung von stationären und digitalen Aktivitäten (auch – aber nicht nur) im Zuge innovativer Omni-Channel-Strategien, der Individualisierung von Produkten und Angeboten oder aber der Integration digitaler Services können sich auch für stationäre Händler oder Omni-Channel Anbieter große Chancen eröffnen.

Fallbeispiel: Bon-Prix mit Fashion Connect
Grundidee des Projekts „Fashion-Connect“ von Bon-Prix (als Omni-Channel Anbieter mit ursprünglich stärkerer Online DNA) ist, die Vorteile des stationären Handels mit den Vorzügen des Onlineshoppings zu kombinieren. Technische Innovationen sollen ein auf die Bedürfnisse des Kunden ausgerichtetes digital unterstütztes Shopping-Erlebnis schaffen. Genutzt werden dafür die Shopping-App als „Eintrittskarte“, als persönlicher digitaler Shopping Assistent und für einen schnellen durch RFID unterstützten Self-Check-Out. Daneben treten eine an den Kundenwünschen orientierte inspirierende Warenpräsentation und großzügige Umkleidekabinen mit intelligenten Displays. https://fashion-connect.store/de-de/

Fallbeispiel: Obi Create
Ein weiteres interessantes Beispiel ist der Concept-Store „Create“ von OBI. In diesem Format bietet Obi (als Omni-Channel Händler mit ursprünglich stationärer DNA) seinen Kunden Selbstbau-Sets für Möbel und Dekorationen zum Kauf vor Ort an. Zudem können Kunden größere Lieblingsstücke wie auch Heimwerkerprojekte zu Hause online konfigurieren und bestellen. Das Gesamtpaket inklusive aller Materialien und entsprechender Anleitungen kann dann im Markt abgeholt oder nach Hause geliefert werden. https://create.obi.de/

Struktur und Technologie folgen dem Geschäftsmodell

In der Handelspraxis ist häufiger als in anderen Branchen zu erleben, dass Geschäftsmodell, Organisation und Geschäftsprozesse keiner integrierten Betrachtung unterzogen werden. Eine Reihe von Unternehmen gehen Themen rund um digitale Transformation primär von der technologischen Seite an. Dabei gilt es doch vorrangig und an erster Stelle die Strategie sowie das Geschäftsmodell und erst darauf aufbauend die Konzeptausprägungen zu entwickeln.

So bedingt die Unternehmensstrategie maßgeblich die organisatorische Struktur des Unternehmens. Und dennoch existieren Wechselwirkungen zwischen Strategie und Organisation. Gerade in der digitalen Transformation müssen Unternehmensziele auch mit den organisatorischen Möglichkeiten erreichbar sein, so dass sich Restriktionen für Strategie und Geschäftsmodell ergeben können. Hier ist eine konsequente Führung im Unternehmen gefordert.

Technologie kann zwar ein Treiber der Veränderung sein, vorrangig befähigt sie jedoch bei der Umsetzung eines Geschäftsmodells. Mit anderen Worten geht es nicht darum, alles zu verändern, was technisch machbar ist, sondern das, was vor dem Hintergrund des Marktes und der unternehmensspezifischen Situation sinnvoll ist: weil es Nutzen für den Kunden und die Zielgruppe stiftet.

Fallbeispiel: Adler Modemärkte
Die Adler-Modemärkte gelten durchaus in der Modebranche als Technologieführer. Das Unternehmen hat sehr früh auf flächendeckende RFID-Technologie gesetzt und aktuell einen Serviceroboter im Roll-Out, der nach Ladenschluss eine Bestandsaufnahme macht, täglich Fehlbestände erkennt und Nachbestellungen ausgelöst. Insofern war überraschend, dass sich Adler von der interaktiven Umkleidekabine nach einer Testphase wieder verabschiedet, während andere Modeanbieter, von H&M, Uniqlo bis Zara, intelligenten Umkleidekabinen und Spiegel bis hin zum Einsatz von Sprachsteuerung und Gesichtserkennung intensivieren. Nach Angeben von Adler sollte die Anonymisierung am POS nicht zu weit getrieben werden und man hatte die Erkenntnis, dass die Zielgruppe von (Altersdurchschnitt 62 Jahre) die interaktiven Umkleidekabinen nicht wie erwartet angenommen hat. (Sanz Grossón, 2019)

Handel bleibt steter Wandel

Veränderungen bleiben das einzig Verlässliche im Handel und deren Dynamik und Geschwindigkeit nehmen exponentiell zu. In der viel zitierten VUCA-Welt – geprägt durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – sind Umweltveränderungen an der Tagesordnung. Die zentrale Herausforderung für Unternehmen ist, sich ständig an einen sich schnell verändernden Markt anzupassen.

Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wann und wie“ man sich diesen Veränderungen stellt. In diesem dynamischen Umfeld sind die entscheidenden Eigenschaften eines nachhaltig erfolgreichen Unternehmens die Veränderungsbereitschaft und die daraus resultierende Veränderungsfähigkeit. Es gilt, etablierte Werte, Ziele, Strategien, Strukturen und Prozesse zu überprüfen und bei Bedarf einem grundlegenden Change-Prozess zu unterziehen. In diesem Kontext müssen auch nahezu überall bestehende Organisations-, Informations- und Prozess-Silos identifiziert und aufgebrochen werden.

Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit als Erfolgsfaktoren

Das professionelle und systematische Management von Veränderung wird somit zum entscheidenden Faktor für den nachhaltigen Erfolg. Viele Handelsunternehmen haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Change-Projekte angestoßen und sich dabei auch auf die digitale Transformation fokussiert. Dies leider nicht immer mit dem gewünschten Erfolg.

Dabei mangelt es dem Handel grundsätzlich nicht an guten Ideen und cleveren Strategien, sondern oftmals an der Umsetzungskompetenz. Für erfolgreiche Veränderungsprojekte braucht es Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um Change-Projekte erfolgreich durchzuführen und die gewünschte Veränderung dauerhaft zu implementieren:

  • Vision: Klare Vermittlung der Vision der Veränderung
  • Skills: Die oberste Führungsebene muss klar aufzeigen, warum Veränderungen unvermeidlich sind und die zur Umsetzung notwendigen Fähigkeiten aufbauen, um Ängsten und Widerständen zu begegnen
  • Koordination: Die Herausforderungen für Unternehmen werden immer komplexer und Veränderungen lassen sich schon lange nicht mehr von wenigen Chefs gestalten. Wandel erfordert die intensive und abgestimmte Teamarbeit aller Führungskräfte sowie die Vernetzung der Umsetzungsschritte.
  • Ressourcen: Die notwendigen finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen für den Veränderungsprozess müssen bereitgestellt werden (können).
  • Aktion: Koordiniertes und zielgerichtetes Handeln muss durch Aktionspläne mit entsprechenden Meilensteinen sichergestellt werden.
  • Commitment: Das Top-Management muss den Wandel vorleben und Engagement sowie Identifikation aller Mitarbeiter für die Veränderungen einfordern.

Organisation und Mitarbeiter befähigen

Digitale Transformation betrifft das gesamte Unternehmen und ist komplex. Sie greift in alle Unternehmensbereiche ein und bedarf daher idealerweise der Federführung von ganz oben durch den Geschäftsführer oder CEO. Damit digitale Transformation gelingt, müssen neben dem Herstellen einer dauerhaften Veränderungsbereitschaft, auch die richtigen Skills und Fähigkeiten im Team aufgebaut werden oder erfahrene Mitarbeiter an Bord geholt werden.

Viele Unternehmen richten daher die Position eines ‚Chief Digital Officers‘ (CDO) oder ‚Chief Transformation Officers‘ (CTO) ein. Erfolgreich kann dieser jedoch nur agieren, wenn er klare Weisungsbefugnisse, Budgethoheit sowie Verantwortungsbereiche hat und in enger Abstimmung wie auch mit voller Unterstützung des CEO agiert.

Anderenfalls besteht das Risiko, dass alle digitalen Transformationsaufgaben in diesem Ressort abgeladen werden, ohne dass Möglichkeiten und Mittel vorhanden sind, die Themen umzusetzen. Zudem ist festzustellen, dass bei Mitarbeitern und Abteilungen sowohl die Identifikation als auch das Engagement zur Veränderung tendenziell sinken, wenn die Transformation aus einem ‚neuen Silo‘ heraus betrieben wird. Die Gefahr des „not-invented-here“ Phänomens wächst an dieser Stelle für die gesamte Organisation.

Nachdem digitale Transformation auf ständige Veränderung im gesamten Unternehmen abstellt und das Unternehmen dazu befähigt werden muss, kann es sich bei derartigen Organisationsstrukturen nur um temporäre Zwischen- oder Hilfslösungen handeln. Vielmehr muss bei der Gestaltung digitaler Transformation der Blick auf die typischen Verhaltensmustern der betroffenen Mitarbeiter innerhalb von Veränderungsprozessen  gerichtet werden.

Es geht also nicht nur um das Management von strategischen und konzeptionellen Veränderungen auf der Sachebene, sondern in erheblichem Maße darum, die Mitarbeiter im Rahmen des Veränderungsprozess durch unterschiedliche Phasen des Wandels zu begleiten. Werden „harte“ und „weiche“ Faktoren auf allen Ebenen des Change-Prozesses berücksichtigt, können derartige „blinde Flecken“ vermieden werden.

Veränderungsbedarfe sind individuell

Die Erfahrungen vieler Projekte zeigt, dass die Ausrichtung eines Unternehmens im digitalen Zeitalters systematisches Change-Management erfordert. Je nach firmenspezifischem Veränderungsbedarf gilt es, etablierte Werte, Ziele, Strategien, Strukturen und Prozesse einem grundlegenden Veränderungs-Prozess zu unterziehen.

Für jeden Handelsbetrieb gibt es einen zweckmäßigen und unternehmensindividuell sehr unterschiedlichen Digitalisierungsgrad. Je nach Digitalisierungs- und Veränderungsbedarf sind dabei zwei Entwicklungsmuster unterscheiden: zum einen die Optimierung des bestehenden Geschäfts (Evolution bestehender Strukturen und Prozesse) und zum anderen die Erneuerung des Geschäftsmodells (Revolution bestehender Strukturen und Prozesse). Das Entwicklungsziel und der digitale Reifegrad des Unternehmens bestimmen dabei auch den erforderlichen Change-Management Ansatz.

Das Schichtenmodell der Brückenbauer

Jedes Handelsunternehmen ist unterschiedlich, jedes Umfeld muss individuell bewertet werden und jedes Projekt ist anders. Ein generelles Rezept „out-of-the-box“ existiert für den Wandel nicht. Insofern ist für jede Veränderung ein firmenspezifischer Prozess zu erarbeiten.

Vor diesem Hintergrund verfolgen wir in unseren Beratungsprojekten bewusst einen situativen Best-Fit-Ansatz. Es gilt die unternehmens- und branchenspezifisch besten Lösungen für die konkrete Situation zu finden und mit Best-Practices aus unserer Management- und Beratungserfahrungen zu verbinden. Für den Best-Fit-Ansatz haben die Brückenbauer mit dem „Schichtenmodell“ einen flexiblen Bezugsrahmen entwickelt. Dabei setzt unser Transformationsansatz an verschiedenen Schichten der Organisation an. Im Rahmen der Analyse werden die Schichten auf Ihren „Digitalisierungsgrad und Veränderungsbedarf” analysiert und im Rahmen des Projektes sichergestellt, dass die notwendigen Veränderungen ganzheitlich über alle Dimensionen im Unternehmen verankert werden. Dadurch lassen sich konkrete Handlungsfelder, Optimierungspotenziale und Quick-Wins in den einzelnen Bereichen der Handelsunternehmung aufdecken.

Quellenverzeichnis

Bridges, S., & Bridges, W. (2018). Managing Transitions: Erfolgreich durch Übergänge und Veränderungsprozesse führen. München: Vahlen.

Claßen, M. (2019). Spannungsfelder im Change Management: Veränderungen situativ gestalten. Handelsblatt Fachmedien GmbH.

Gerth, S. (11. 10 2019). Lasst den Einzelhandel sterben… Von https://etailment.de/: https://etailment.de/news/stories/handel-woche-exporeal-savills-einzelhandel-wilke-22601 abgerufen

Kotter, J. (2011). Leading Change: Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern. München: Vahlen.

Sanz Grossón, U. (01. 10 2019). Wenn der Adler-Kunde lieber mit Menschen sprechen will. Von https://etailment.de/: https://etailment.de/news/stories/Adler-Digitalisierung-Umkleide-22376 abgerufen

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Systematisches Change-Management für den Einzelhandel

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