Aktuell

Kunden – Flächen – Kanäle. Handel neu denken.

Change-Management, Geschäftsmodell, Neuausrichtung

Auch wenn einzelne Handelsformate noch vor kurzer Zeit erfolgreich waren, so sind heute nicht moderate Anpassungen sondern ein grundlegendes Infragestellen und Neudenken der Konzepte erforderlich.

Abnehmende Kundenfrequenzen im stationären Handel, die stetige Umsatzausweitung im Online-Bereich und die nachhaltigen Veränderungen im Konsumentenverhalten sind nicht umkehrbar. Dabei haben sich viele Entwicklungen bereits vor Jahren angekündigt – die Pandemie wirkte als Brandbeschleuniger und hatte weitere Folgen für den Handel: Lieferkettenprobleme und zunehmende Anstrengungen von Produzenten, Endkunden direkt zu adressieren.

Vor diesem Hintergrund ist es derzeit für Einzelhändler essentiell, das eigene Geschäftsmodell in kurzer Taktung regelmäßig zu hinterfragen und (selbst-)kritisch dessen Zukunftsfähigkeit sowie Robustheit zu überprüfen. Ein wesentlichen Fokus sollten dabei auf die Themen Kunde, Flächen und Sortiment sowie Verkaufskanäle gerichtet sein.

Kundenkenntnis und Zugang zum Kunden

Die Domäne des inhabergeführten Fachhandels war stets eine tiefgreifende Kenntnis über den Kunden. Sie wird jedoch immer stärker in Mitleidenschaft gezogen, je mehr das Geschäft als ‚klassischer Kanal‘ der Kundenansprache ausfällt. Vor dem Hintergrund eines radikal veränderten Konsumentenverhaltens funktionieren daher immer weniger Annahmen aus der Vergangenheit darüber, wie der Kunde derzeit ‚tickt‘.

Auch für Sichtbarkeit und Kundenzugang ist die stationäre Verkaufsfläche schon seit geraumer Zeit nicht mehr hinreichend. Es sind zusätzliche Kanäle wie Websites, Newsletter, Social-Media, Live-Chats mit Kunden (z.B. über Instagram oder WhatsApp), erforderlich. Um diese Kanäle effizient ‚bespielen‘ zu können, ist wiederum eine systematische Erhebung und Nutzung von Kundendaten (z.B. in CRM-Systemen) sowie dem Kundenverhalten (z.B. Kaufhäufigkeiten, Warenkorbinhalt, Suche nach Produkten) notwendig.

Daraus ergeben sich folgende Kernfragen:

  • Wie lauten die Annahmen zu Kundenbedürfnissen (Kommunikation, Sortiment, Verkaufsprozesse) und haben sie noch Gültigkeit?
  • Welche Kundendaten werden erhoben und wie werden sie genutzt?
    Wird das Personal auf den Flächen einbezogen?
  • Welche Kanäle wurden zur Erhöhung von Sichtbarkeit und Kundenzugang aufgebaut und werden sie systematisch sowie professionell genutzt?

Verkaufsflächen und kuratierte Sortimente

Für viele Handelsbranchen, vor allem in innerstädtischen Lagen, ist dauerhaft von Umsatzrückgängen im zweistelligen Prozentbereich auf stationären Flächen auszugehen. Daher ist die Nutzung der bestehenden Verkaufsflächen zu überdenken. Neben einer Bereinigung des Filial-Portfolios sind auf Filialebene insbesondere alternative Nutzungskonzepte für Teilflächen zu prüfen. Hier bieten sich beispielsweise die Einbeziehung von Shop-in-Shop Konzepten oder Popup-Stores, Kooperationen mit Handwerk, Dienstleistern und Gastronomie oder auch anderen Händlern an.

Einerseits erhöht dies die Verkaufsflächenproduktivität der eigengenutzten Flächen und erschließt zudem zusätzliche Einnahmequellen, andererseits wird dem Kunden ein neuartiger Angebotsmix und bestenfalls eine Kauf-Inspiration geboten, die im Online-Handel nicht dargestellt werden kann.

Dagegen werden Online-Handel und Plattformen, wie Otto, Zalando oder AboutYou, mit ihrer immensen Sortimentsbreite, höchster Preistransparenz sowie exzellenten Transaktionen weiter zunehmend solche Kaufanlässe befriedigen, in denen der Konsument keine Inspiration (mehr) benötigt. Dies, weil es sich um einfachen Grundbedarf, vergleichbare oder bekannte (Marken-) Produkte handelt oder für den Endverbraucher die Zeitersparnis bei der Kaufabwicklung im Vordergrund steht.

Vor diesem Hintergrund steigen die Anforderungen an eine exzellente Sortimentsbildung im stationären Handel. Das Sortiment muss mit reduzierten Beständen auf verkleinerte Verkaufsflächen passen und gleichzeitig den Kunden inspirieren. Gerade im Fashionbereich ist dabei der Spagat hinzubekommen zwischen (1) ‚Butter-und-Brot‘ Artikeln als notwendigen aber margenschwachen Frequenzbringern sowie (2) margenträchtiger Ware mit hoher Inspirationskraft, jedoch hohem Risiko für Abschriften.

Dies wird nur über besondere ‚kuratierte Sortimente‘ gelingen, welche starken Boutique-Charakter ausstrahlen und damit die Chance zur Differenzierung bieten. Gleichzeitig können reduzierte Filialflächen – damit verbunden auch geringere Warenverfügbarkeit vor Ort – durch eine ‚digitale Verlängerung‘ des Sortiments kompensiert werden. Dabei lassen sich Verfügbarkeiten sehr zeitnah über andere Filialen oder eine zentrale Lagerhaltung (bei zeitlichem Verzug auch über Dritte) abbilden.

Daraus ergeben sich folgende Kernfragen:

  • Wie lässt sich die Sortimentspolitik der Zukunft ausgestalten? Existieren datengetriebene Ansätze, in denen Kundendaten dafür genutzt werden können?
  • Welche Ansätze für Kooperationen existieren, um die eigene Flächenproduktivität zu steigern und gleichzeitig Inspiration für den Kunden zu bieten?
  • Welche Potentiale für Verkaufsflächen, Margen und Prozesse lassen sich durch ein ‚kuratiertes Sortiment‘ heben? Bietet eine (auch regional) veränderte Positionierung des Sortiments Chancen zur höheren Preisdurchsetzung?

Unified Commerce

Endverbraucher haben sich in kürzester Zeit daran gewöhnt, über unterschiedliche Kanäle (gleichzeitig) angesprochen zu werden und sich zu informieren. Auf der Seite des (stationären) Handels fehlt es jedoch oftmals an der Verknüpfung der einzelnen Kanäle. Diese ist jedoch bedeutsam für die Gewinnung übergreifender Erkenntnisse zum Kauf- und Kundenverhalten sowie für konsistente Informationen über Kanalgrenzen hinweg.

Neuere und vom Kunden akzeptierte Konzepte (z.B. Ship-from-Store, Click-and-Meet, Social Commerce) werden erst durch eine Auflösung der Grenzen zwischen stationärer und Online-Welt ermöglicht. Grundvoraussetzung dafür ist einerseits eine funktionierende Warenwirtschaft, welche Echtzeitbestände darstellt. So beruht auch der oben gezeigte Ansatz zur ‚digitalen Verlängerung‘ mit kurzfristig verfügbaren Artikeln weitgehend darauf.

Andererseits erfordern sämtliche Ansätze in denen Kanalgrenzen nicht mehr existieren sollen von den Mitarbeitern ein tiefes Verständnis für das Handelskonzept sowie eine zunehmend datengetriebene Denkweise. Insofern muss der Händler dort sein und seine Angebote dort machen, wo sich auch der Kunde gerade befindet: bei WhatsApp, auf der Website, bei Instagram oder auf der stationären Fläche.

Daraus ergeben sich folgende Kernfragen:

  • Existiert eine funktionierende Warenwirtschaft, die Echtzeitbestände darstellt? Welche Schnittstellen zu anderen Systemen sind von besonderer Bedeutung?
  • An welchen Stellen werden mehrere Kanäle gleichzeitig im Verkaufsprozess (oder der Verkaufsanbahnung) genutzt? Wie sind diese Kanäle organisatorisch und technisch miteinander verknüpft?
  • Wie stark ist das Verständnis für das Handelskonzept bei den Mitarbeitern ausgeprägt? Existieren Mitarbeiter, die bereits heute datengetrieben arbeiten?

Fazit

Zahlreiche Beispiele der jüngsten Zeit zeigen, wie schnell ein vermeintlich gerade noch erfolgreiches Handelsformat in Schieflage geraten oder gar obsolet werden kann. Daher erhöht das grundlegende Infragestellen und Neudenken des eigenen Handelskonzepts die Widerstandsfähigkeit von Geschäftsmodell und Unternehmung. Dies beinhaltet gleichermaßen aber auch die Frage, welche finanziellen und personellen Ressourcen für eine Transformation des Geschäftsmodells zur Verfügung stehen bzw. erforderlich sein werden.

Gerade dem Personal wird dabei zukünftig (wieder) eine Schlüsselrolle zukommen, da Mitarbeiter auf der Fläche die wesentliche Schnittstelle zum Kunden bilden. Die Differenzierung zum Online-Handel durch qualifizierte Beratung und Inspiration der Kunden wird eben wesentlich durch die Mitarbeitenden vor Ort gesteuert. Gleichwohl wird nicht nur in die Weiterqualifikation und Bindung bestehender Mitarbeiter sondern auch in neues Personal sowie in neue Team- und Führungsstrukturen investiert werden müssen, um die digitalen Herausforderungen der Zukunft meistern zu können.

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